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Was ist der Stand der Technik?

von | 4. April 2022 | Qualitätsmanagement

Was ist der Stand der Technik?

Medizinprodukte müssen dem Stand der Technik, im Englischen State of the Art, entsprechen. Das ist eine der Mindestanforderungen. Aber was ist eigentlich der Stand der Technik und wie können Sie diesen ermitteln?
Stand der Technik bei Medizinprodukten

Harmonisierte Normen

In der Vergangenheit bildeten die harmonisierten Normen einen guten Konsens zwischen Herstellern, Behörden und benannten Stellen für den Stand der Technik. Im Zuge der MDR und IVDR war erst unklar, ob es wieder eine Liste mit harmonisierten Normen geben wird. Mittlerweile hat die EU aber nachgeliefert, und es gibt erste Normen, die harmonisiert wurden.

Die harmonisierten Normen sind für Ihr Unternehmen als Hersteller Pflicht und müssen beachtet werden. Zu den harmonisierten Normen zählen auch die EN ISO 13485:2016 und EN ISO 14971:2019. Eine Ihrer ersten Aufgaben, um den Stand der Technik zu ermitteln, ist also das Recherchieren der anwendbaren harmonisierten Normen. Nicht jede Norm ist verpflichtend. Wenn Ihr Unternehmen zum Beispiel keine sterilen Produkte hat, müssen Sie auch nicht die Anforderungen EN ISO 11137:2019 erfüllen. Sie finden eine aktuelle Liste der harmonisierten Normen auf der Website der EU. Ich habe die aktuelle Liste auch gefunden, indem ich „harmonized standards eu“ gegoogelt habe und dann auf „Medical devices (Regulation 2017/745)“ geklickt habe. Falls Ihnen das zu viel Aufwand ist, habe ich für Sie schon mal die Arbeit übernommen:

Eine aktuelle Liste aller harmonisierten Normen finden Sie hier.

Eine aktuelle Liste aller harmonisierten Normen nach MDR finden Sie hier.

Definition des „Stands der Technik“ und was die ISO 14971:2019 sagt

Weder die MDR noch die IVDR liefern eine klare Definition des Stands der Technik. Etwas Licht ins Dunkle bringt die EN ISO 14971:2019, die eine Definition für den Stand der Technik liefert. Da diese Norm mittlerweile harmonisiert ist, können Sie sich darauf berufen. Diese definiert den „Stand der Technik“ folgendermaßen:

„3.28 Stand der Technik
entwickeltes Stadium der technischen Möglichkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt, soweit Produkte, Prozesse und Dienstleistungen betroffen sind, basierend auf entsprechenden gesicherten Erkenntnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrung

Anmerkung 1 zum Begriff: Der „Stand der Technik“ umfasst die gegenwärtig und allgemein anerkannte gute Praxis bei Technologie und Medizin. Der „Stand der Technik“ setzt nicht unbedingt die technisch fortgeschrittenste Lösung voraus. Der hier beschriebene „Stand der Technik“ wird mitunter als „allgemein anerkannter Stand der Technik“ bezeichnet.“


Diese Definition hilft Ihnen sehr viel weiter, indem sie zum Beispiel klarstellt, dass mit „Stand der Technik“ nicht die fortschrittlichste Lösung auf dem Markt gemeint ist, sondern der branchenübliche und für das Produkt übliche Stand der Technik. Dieser Aspekt ist insbesondere im Kontext des Risikomanagements zu sehen. Es ist Ihre Aufgabe als Hersteller, den Markt und die Wettbewerbsprodukte zu recherchieren und zu analysieren. Hierbei spielen auch Ersatzprodukte bzw. Ersatztechnologien eine Rolle. Wenn mit einem Produkt bei geringerem Risiko dasselbe erreicht werden kann, dann könnte Ihre Lösung veraltet sein.

Ihr Unternehmen muss sich übrigens nicht mit dem Stand der Technik begnügen und Sie können durchaus auf fortschrittlichere Technologien setzen und sich am Stand der Wissenschaft orientieren. Dies kann Teil Ihrer Wettbewerbsstrategie sein, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Mehr zum Thema Wettbewerbsstrategie bei Medizinprodukten können Sie in meinem Artikel über Qualitätsdifferenzierung als Teil der Wettbewerbsstrategie lesen.

Es gibt nicht „den“ Stand der Technik

Ein Produkt hat mehrere Eigenschaften, und es kann durchaus sein, dass in einem bestimmten Kontext ein Produkt geeigneter ist als ein anderes. Es gibt daher nicht immer den Stand der Technik und die eine Lösung. Hersteller übernehmen schließlich nicht die Rolle des Arztes oder der Ärztin und entscheiden, welches Medizinprodukt für den oder die Patient:in bei diesen Beschwerden am geeignetsten ist.

Haben Patient:innen eine Zahnlücke, so lässt sich als Zahnersatz entweder eine Brücke oder ein Implantat verwenden. Sie unterscheiden sich jedoch im Aufwand und in der Eingriffstiefe. Für ein Zahnimplantat ist ein chirurgischer Eingriff notwendig, und es folgt eine Einheilphase. Eine Brücke lässt sich mittels eines Eingriffs anbringen und ist günstiger. Dabei werden jedoch gesunde Zähne beschädigt, und es kann zu einer Rückbildung des Kieferknochens an der Position der Lücke kommen, weil diese Stelle nicht mehr belastet wird. Beide Lösungen entsprechen dem Stand der Technik, sind branchenüblich und haben Vor- und Nachteile. Hier entscheiden Zahnarzt und Patient, welche Lösung für die Zahnlücke in Frage kommt.

Als Hersteller müsst Sie solche Sachverhalte kennen und im Blick haben. Hier empfiehlt es sich ehrlich zu sein, da Sie mit Ihrer Risikoanalyse sonst nichts anfangen können und diese keinen Mehrwert für Ihr Unternehmen bringt. Dies lässt sich wieder gut am Beispiel Brücke oder Implantat verdeutlichen. Durch den chirurgischen Eingriff beim Setzen eines Zahnimplantats entstehen Risiken, die bei einer Brücke nicht auftreten. Dafür hat die Brücke ein Risiko des Knochenrückbaus, das beim Implantat nicht auftritt. Das ist eine Entweder-Oder-Entscheidung, und wenn es zum gegebenen Zeitpunkt keine erprobte Lösung gibt, die beide Probleme besser löst, dann ist dies der Stand der Technik, und beide Lösungen sind risikotechnisch vertretbar.

Aufgaben um den Stand der Technik zu ermitteln

  • Recherchieren Sie für Ihr Unternehmen und Ihre Produkte die relevanten harmonisierten Normen
  • Recherchieren Sie Wettbewerbsprodukte, um den branchenüblichen Stand der Technik zu ermitteln
  • Recherchieren Sie auch Ersatzprodukte, die anstelle Ihrer Lösung verwendet werden können. Liefern diese dieselbe Leistung bei geringerem Risiko?
  • Recherchieren Sie geeignete Fachliteratur in Form von Büchern, Papern und Fachartikeln

Die Ergebnisse der Recherchen müssen in die Entwicklungsdokumentation und in das Risikomanagement einfließen. Zudem erfüllen Sie damit auch einen Teil der Marktbeobachtungspflichten, weswegen es sich lohnt die Recherchen zu dokumentieren und als Nachweis für Behörden und benannte Stellen griffbereit zu haben.

Erstellt von Felix König

Consultant für Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung. Mit praxisnahen, agilen und digitalen Ansätze unterstütze ich Sie dabei, regulatorische Anforderungen effizient zu erfüllen.

4. April 2022

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