Qualität als Teil der Preisstrategie bei Medizinprodukten
Medizinprodukte unterliegen Mindestanforderungen, die alle Hersteller beachten müssen. Dies erweckt schnell den Eindruck, dass alle Produkte qualitativ gleich sind und es nur wenig Spielraum in der Qualität gibt, sowie es schwierig ist, sich qualitativ abzuheben oder Wettbewerbsstrategien zu finden. In diesem Artikel möchte ich Ihnen Möglichkeiten der Qualitätsdifferenzierung als Teil der Preisstrategie bei Medizinprodukten aufzeigen. In den ersten zwei Abschnitten wird das regulatorische Umfeld von Medizinprodukten kurz erläutert, um auch die Menschen abzuholen, die noch nicht in dieser Branche unterwegs sind.
Markteintrittsbarrieren bei Medizinprodukten
Medizinprodukte müssen im europäischen Raum abhängig von der Klassifizierung bei einer benannten Stelle (TÜV, DEKRA &Co.) zugelassen werden. Zudem benötigt der Hersteller ein zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem nach ISO 13485, das zudem noch die Anforderungen der Medizinprodukteverordnung 2017/745 kurz MDR erfüllen muss. Diese Markteintrittsbarrieren sind verbindlich und für alle Hersteller gleich und sollen Patienten vor gefährlichen Produkten schützen. Die MDR legt zudem fest, was als Medizinprodukt gilt und was nicht, so dass sich niemand daran vorbeimogeln kann.
Mindestanforderungen an Medizinprodukte
Diese Markteintrittsbarrieren lassen sich noch um die Mindestanforderungen der harmonisierten Normen und des Stands der Technik erweitern. Der Stand der Technik bedeutet, dass keine veralteten Verfahren und Technologien eingesetzt werden dürfen. Es handelt sich um eine eher weiche Anforderung, aus der sich aber viele Verpflichtungen für die Hersteller ergeben. Schließlich muss der Stand der Technik für die eigenen Produkte selbst ermittelt und überwacht werden. Ich habe hierzu einen eigenen Blog-Artikel geschrieben, wenn Sie dazu mehr wissen möchten (Link). Zusammenfassend lässt sich dadurch folgender Rahmen für Medizinproduktehersteller stecken:
- ISO 13485
- Medizinprodukteverordnung 2017/745 kurz MDR
- Auf das Produkt anwendbare harmonisierte Normen, besonders wichtig ist hier die ISO 14791 für Risikomanagement
- Erfüllung des Stands der Technik
- Weitere auf das Produkt anwendbare Gesetze
Diese sind die wichtigsten Mindestanforderungen, die für alle Hersteller von Medizinprodukten gleich sind. Es gibt jedoch noch viele produktabhängige Anforderungen sowie spezifische Länderanforderungen, auf die ich jetzt nicht eingehen werde. Die Recherche aller regulatorischen Anforderungen für die Zulassung eines Medizinprodukts ist keine leichte Aufgabe und erfordert Zeit und Expertenwissen.
Anforderungen mit Spielraum
Es gibt zwar Mindestanforderungen, aber diese sind selten genau definiert, und es eröffnen sich dadurch gewisse Spielräume. Ich möchte Ihnen nun einige Anforderungen als Beispiele für Flexibilität aufzeigen. Wenn Sie diese Mechanismen verstehen, kann Qualität zu einem festen Bestandteil der Wettbewerbs- und Preisstrategie werden. Mit guter Qualität wirbt zwar jeder, aber hier geht es um Fakten und tatsächliche Produkteigenschaften. Diese müssen Hersteller nachweisen, und sie sollten Teil der qualitativen und regulatorischen Strategie sein.
Wiederaufbereitungszyklen von Medizinprodukten
Es ist vorgeschrieben, bei Medizinprodukten die Häufigkeit der Einsätze zu kennzeichnen. Single-Use Produkte benötigen zudem ein besonderes Symbol auf dem Etikett. Es gibt aber meist keine Vorschrift für eine Mindestanzahl an Wiederaufbereitungszyklen. Dadurch ergeben sich verschiedene Möglichkeiten in der Qualitätsdifferenzierung.
- Die Anzahl der möglichen Wiederaufbereitungen kann zu einem Qualitätsmerkmal werden. Wenn das Produkt deines Unternehmens doppelt so häufig wiederverwendbar ist als das der Konkurrenz, dann lässt sich gegebenenfalls ein höherer Preis verargumentieren oder es entsteht ein Wettbewerbsvorteil. Bitte denke aber daran, dass die Anzahl der möglichen Wiederaufbereitungszyklen mittels Tests nachgewiesen werden muss.
- Manche Unternehmen bringen auch bewusst Single-Use Produkte heraus, die nur einmal verwendbar sind, obwohl sie öfter verwendet werden könnten, wenn sie anders designed wären. Dein Unternehmen kann dadurch für Ärzte die Abrechnung mit der Krankenkasse deutlich erleichtern, da das Produkt so immer direkt einer Behandlung zugeordnet werden kann. Bezüglich der Nachhaltigkeit sollte dein Unternehmen sich dieser Strategie aber vielleicht nochmal überlegen.
- Wenn du ein Produkt als Single-Use bezeichnest, entfallen einige regulatorische Pflichten und du musst zum Beispiel nicht die Anzahl der möglichen Wiederaufbereitungszyklen nachweisen. Auch kann ein Produkt dadurch in die Risikoklasse 1 fallen, wodurch die Inverkehrbringung einfacher wird. Dadurch lassen sich Kosten und Aufwand sparen und der Markteintritt kann nach vorne gezogen werden. Kritisch sind aber Produkte zu sehen, die als Single-Use gekennzeichnet sind, von denen dein Unternehmen aber weiß, dass der Kunde diese mehrfach verwenden wird. Hier könnte von euch verlangt werden, dass ihr Maßnahmen im Design ergreift, die genau dies verhindern. Dieser Punkt sollte auf jeden Fall Teil eurer Risikoanalyse sein.
Sauberkeit von Medizinprodukten
Die MDR schreibt indirekt vor, dass Medizinprodukte so sauber wie möglich sein sollten. Damit lässt sich wenig anfangen, da eine Reduzierung der Rückstände auf null nicht möglich und meist auch gar nicht notwendig ist. Praktikabler und sinnvoller wäre es, sie so sauber zu halten, wie Ihre Kunden es benötigen und um sicherzustellen, dass für den Patienten keine Risiken entstehen.
- Wenn eure Entwicklung die Sauberkeitsanforderungen ermittelt, sollte sie die eingesetzten Hilfsmittel in der Produktion auch im Blick haben. Hier liegt großes Einsparpotential. Viele Hersteller fahren nämlich mit Reinigungsparametern, die zu hoch sind, was mehr Reinigungszyklen und eine längere Auslastung der Anlagen zur Folge hat.
- Theoretisch könnten dein Unternehmen aber auch besonders hohe Reinigungsparameter im Marketing nutzen und mit einer hohen Reinheit werben und vielleicht sogar konkrete Werte angeben. Da diese Werte belegbar sein müssen, könnte dies eure Konkurrenz unter Zugzwang setzen, eine genau so hohe Reinheit anzubieten. Die Frage ist aber, ob deren Reinigungsprozess und Reinigungsanlage das überhaupt leisten kann.
- Ebenfalls solltest du nicht unterschätzen, was ihr an Hilfsstoffen in der Produktion nutzt. Meist ist es sinnvoll für Menschen ungefährliche Substanzen zu verwenden. Diese dürfen nämlich in viel höheren Mengen auf den Produkten sein. Das sichert euch auch als Hersteller ab, denn falls mal etwas schief gehen sollte, sind eure Produkte wenigstens nicht mit Giftstoffen belastet.
Sie merken bereits, dass die Sauberkeit von Medizinprodukten ein umfangreiches Thema sein kann. Die Formulierung „so weit wie möglich“ oder ähnliche Formulierungen finden sich jedoch an vielen anderen Stellen der MDR. Häufig sind sie im Kontext der Risikominimierung zu finden. Daher gibt es noch viel mehr Potenzial für Qualitätsdifferenzierung. Es ist wichtig, dass Ihr Unternehmen im Risikomanagement sorgfältig arbeitet und diese Punkte im Blick behält. Der gleiche Ansatz wie bei der Sauberkeit kann auf andere Produkteigenschaften übertragen werden.
Design und Ästhetik von Medizinprodukten
Viele Möglichkeiten ergeben sich im Bereich des Designs und der Ästhetik. Nicht jedes Medizinprodukt ist unsichtbar im Körper. Manche sind Hilfsmittel wie Hörgeräte, während andere sichtbare Implantate wie Zahnersatz sind. Patienten möchten in der Regel nicht, dass ihr Gegenüber merkt, dass sie falsche Zähne haben, und auch Hörgeräte sollen eher unauffällig sein.
- Ein Qualitätsunterschied bei Hörgeräten ergibt sich dadurch, dass ein Gerät besonders klein oder transparent ist. Dadurch fällt es weniger auf und ist angenehmer zu tragen.
- Ein weiteres Medizinprodukt, dass nicht nur durch Unauffälligkeit punktet, und stark auf dem Vormarsch ist, ist der Aligner. Diese transparenten Zahnschienen korrigieren Zahnfehlstellungen und lassen sich von den Patienten selbst anwenden. Ich war selbst erstaunt als ich sie im Einsatz sah. Man sieht sie im Gegensatz zu einer Zahnspange nicht. Sie stellen damit in vielen Fällen ein Ersatzprodukt für herkömmliche Zahnspangen dar und werden Auswirkungen auf den Markt für Zahnspangen haben. Durch die Transparenz und Erschwinglichkeit spricht dieses Produkt zudem viele Kunden an, die sich sonst keine Zahnspange geholt hätten und es kommt zu einer Marktvergrößerung. Ersatzprodukte haben in der Wettbewerbsstrategie enorme Sprengkraft. Ein Anbieter von Alignern ist Dr. Smile. Ein Tochterunternehmen des Konzerns, in dem ich dem früher selbst gearbeitet habe. Um hier aber keine einseitige Werbung zu machen, möchte ich noch auf die Hersteller Invisalign und SureSmile hinweisen.
- Beim Zahnersatz ergeben sich Qualitätsunterschiede auch dadurch, wie lange dieser seine Farbe beibehält. Patienten wollen nicht, dass sich ein Kunststoff nach wenigen Jahren farblich von den anderen Zähnen abhebt. Wenn auch nach Jahren euer Zahnersatz sich nicht von echten Zähnen unterscheiden lässt, ist das daher ein klarer Qualitätsunterschied, der Mehrwert für eure Kunden bietet und mit dem ihr euch vom Wettbewerb abheben könnt.
Verzerrungen und Verschiebungen von Mindestanforderungen
Obwohl für alle Marktteilnehmer dieselben Mindestanforderungen gelten, so werden diese nicht immer erfüllt oder teilweise unterschiedlich stark kontrolliert. Manche Marktteilnehmer ignorieren auch bewusst regulatorische Vorgaben und hoffen nicht erwischt zu werden. Dies ist dann die andere Art des risikobasierten Ansatzes, von dem ich klar abrate. Dies kann insbesondere bei Medizinprodukten Verkaufsverbote, Schadensersatzansprüche und Haftstrafen zur Folge haben. Ich möchte nun lieber ein paar Mechanismen vorstellen, mit denen Sie weniger Gefahr laufen, die aber trotzdem wirkungsvoll sind.
Medizinprodukte „Made in Germany“
Viele Hersteller gehen mit Slogans wie „Made in Germany“ auf Kundenfang. Ob ein Produkt in einem bestimmten Land hergestellt wurde, dürfte aber erstmal keine Qualitätsaussage sein, da für alle dieselben Mindestanforderungen gelten. Tatsächlich lässt sich aber Hinterfragen in welchem Umfang die Mindestanforderungen auch kontrolliert und durchgesetzt werden, wenn sich ein Hersteller auf einem anderen Kontinent befindet. Diesem Gedankengang folgen oft auch eure Kunden. Hier kann dann doch ein Label wie „Made in Germany“ Vertrauen schaffen, dass mit größerer Wahrscheinlichkeit alles mit rechten Dingen zu geht. Bitte achte hier aber auf eure Lieferketten, wenn dein Unternehmen dieses Label nutzen will. Denn nicht der Hauptsitz des Herstellers ist für das Label entscheidend.
Benannte Stellen kontrollieren unterschiedlich
Es ist in unter Qualitätsmanagern in dieser Branche ein offenes Geheimnis, dass bestimmte benannte Stellen strenger kontrollieren als andere und ihr von bestimmten benannten Stellen leichter ein Zertifikat kriegt. Benannte Stellen sind schließlich private Unternehmen, und auch für diese gibt es Mindestanforderungen, und sie stehen im Wettbewerb zueinander. Dein Unternehmen könnte also Kosten sparen, indem es zu einer weniger strengen benannten Stelle geht und so weniger Aufwand im regulatorischen Bereich hat.
Wenn ihr nur in Europa präsent seid, kann dies sinnvoll sein. Wenn ihr aber auch international expandieren wollt, werdet ihr nicht mehr nur von eurer benannten Stelle kontrolliert und auditiert werden, sondern auch mit vielen Behörden zu tun haben. Da kann es zu einem Nachteil werden, wenn eure benannte Stelle die Anforderungen zu lasch ausgelegt hat und dein Unternehmen vieles nachbessern muss. Die Auswahl einer geeigneten benannten Stelle sollte daher bei einer Erstzertifizierung sorgfältig durchgeführt werden. Je nach langfristiger Unternehmensstrategie sind hier komplett verschiedene Entscheidungen möglich. Gerne kann ich dein Unternehmen dabei unterstützen.
Höhere Mindestanforderungen durch mehr Zulassungen
Überlegt euch wirklich sehr gut, in welchen Ländern ihr präsent sein wollt und in welchen nicht. Wird euer Produkt zum Beispiel in Europa, den USA und Brasilien vertrieben, so kommen die Mindestanforderungen der letzten beiden Länder noch hinzu, die ihr permanent erfüllen und überwachen müssen. Es ist ein Trugschluss, dass es sich bei der Zulassung eines Medizinproduktes um einen Einmalaufwand handelt. Es kommen dauerhaft Aufwände in Form von Aktualisierungen, Audits und Berichten auf euch zu. Teilweise wollen die Länder auch einen anderen Aufbau der Dokumentation und bestimmte Aufzeichnungen. Diesen Mehraufwand muss dein Unternehmen meist durch mehr Personal abfangen, das aktuell schwer zu kriegen ist. Hersteller, die nur in Europa präsent sind, müssen „nur“ die Mindestanforderungen von Europa erfüllen. Dadurch entsteht ein Wettbewerbsvorteil, und ihr könnt eure Qualitätskosten pro Produkt niedriger halten als die Konkurrenz und höhere Erträge einfahren.
Hilfreiche Fragen für eure Qualitätsdifferenzierung in der Wettbewerbs- und Preisstrategie
- Wer sind eure Wettbewerber und welche Märkte teilt ihr mit ihnen?
- Was sind die Mindestanforderungen, die sowohl für dein Unternehmen als auch für den Wettbewerb gelten?
- Welche Mindestanforderungen bieten Möglichkeiten der Flexibilität und wie hat sich euer Wettbewerb positioniert?
- Welche Ersatzprodukte gibt es für eure Produkte?
- Mit welchen Produkteigenschaften kann euer Unternehmen sich vom Wettbewerb abheben?
- Auf welche Produkteigenschaften legen eure Kunden besonderen Wert und sind bereit für diese mehr zu bezahlen?
- Auf welche Produkteigenschaften könnt ihr verzichten, weil diese weder für Kunden noch für Behörden wichtig sind?
Insbesondere durch die Analyse von Wettbewerbsprodukten lässt sich auch großartiges Material für Ihre Marktbeobachtung sammeln, die der Gesetzgeber von deinem Unternehmen als Hersteller sowieso verlangt. Die Marktbeobachtung kann somit von einer Pflichtaufgabe zu einem sinnvollen Teil der Wettbewerbsstrategie werden.
Sie wollen an Ihrer Marktbeobachtung und regulatorischen Strategie feilen oder vielleicht den Zertifizierer wechseln? Schreiben Sie mir, rufen Sie an oder vereinbaren Sie ein kostenfreies Erstgespräch.